Pandemie im Kreis Unna – Sachstandsbericht von Landrat Michael Makiolla

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Sehr geehrte Damen und Herren,

die Corona-Pandemie hält die Menschen und das öffentliche Leben im Kreis Unna nach wie vor im Griff. Und das wird auch in den kommenden Monaten so bleiben!Nach meiner tiefsten Überzeugung stehen wir alle vor einem sehr schwierigen Herbst und einem sehr schwierigen Winter.

Seit dem 01. März 2020 haben sich im Kreisgebiet insgesamt 1.163 Menschen infiziert, von denen die Kreisverwaltung Kenntnis hat. 42 dieser Personen sind seither verstorben. 1.025 sind genesen, so dass wir Stand heute 96 aktuell Infizierte Personen im Kreis Unna verzeichnen.

Das Dunkelfeld dürfte allerdings deutlich höher liegen. Ich halte daher nach wie vor an meiner Zielvorgabe für die Kreisverwaltung fest:• Oberste Priorität bei der Arbeit aller Organisationseinheiten und Dienststellen hat der Kampf gegen die Ausbreitung des Corona-Virus.• Alle anderen Ziele treten dahinter zurück!

Zum Zeitpunkt der letzten Sitzung des Kreistages am 23.06.2020 waren die Auswirkungen des Ausbruchsgeschehens bei der Firma Tönnies in Rheda-Wiedenbrück auch im Kreis Unna auf ihrem Höhepunkt. 

Von den über 30 im Kreis Unna lebenden Tönnies-Mitarbeitern hatten sich neun Personen mit SARS-CoV-2 infiziert. In den Familien der Tönnies-Mitarbeiter steckten sich weitere zwölf Menschen mit SARS-CoV-2 an.Nachdem die Infektionsketten im Zusammenhang mit der Firma Tönnies erfolgreich unterbrochen werden konnten, war das Infektionsgeschehen im Kreis Unna bis in die dritte Juli-Woche eher unauffällig.

Dynamisiertes Infektionsgeschehen

Ab Ende Juli dynamisierte sich das Infektionsgeschehen im Kreis Unna jedoch wieder ganz erheblich. Mitte August hatte der Kreis Unna sogar eine unrühmliche Spitzenposition bei der sogenannten „7-Tages-Inzidenz“ (Anzahl der Neuinfektionen innerhalb von sieben Tagen je 100.000 Einwohner), die zu einer Erwähnung im täglichen Lagebericht des RKI führte: 

Die im Kreis Unna am 13.08.2020 verzeichnete 7-Tages-Inzidenz von 27,4 (Quelle: RKI) war an diesem Tag lediglich in zwei Bezirken in ganz Deutschland höher:• in Berlin-Mitte (28,1) und • im Landkreis Dingolfing-Landau (93,8) 

wo lokale betriebliche Ausbrüche zu verzeichnen waren.

Auch wenn die Corona-Lage insgesamt fragil ist und sicherlich auch bleiben wird, ist der aktuelle Wert der 7-Tages-Inzidenz von 9,6 ein kleiner Lichtblick.

„Die eine“ Ursache für den drastischen Anstieg an Neuinfektionen im Juli und August gibt es nicht. Aus der Dokumentation und den Statistiken des Gesundheitsamtes ergibt sich jedoch, dass• infizierte Reiserückkehrer zwischenzeitlich rund 20 – 25 Prozent der aktuell infizierten Personen ausmachten, • Ausbrüche in einer Altenpflegeeinrichtung in Werne und in einer Fußballmannschaft in Bergkamen und• diverse Infektionsketten im Zusammenhang mit verschiedensten Feierlichkeiten und gemeinsamen Freizeitaktivitäten

ursächlich für den relativ hohen Anstieg der Fallzahlen waren. 

Durchschnittsalter der Infizierten sinkt

In vielen Fällen liegt der Verdacht nahe, dass es zu Ansteckungen gekommen sein könnte, weil die Menschen inzwischen zu sorglos und nachlässig mit der etablierten AHA-Regel des Bundesgesundheitsministeriums (Abstand, Hygiene, Alltagsmaske) umgegangen sind.

Dass das Corona-Virus nunmehr vollständig in der „Mitte der Gesellschaft“ bzw. in der „Mitte des Lebens“ angekommen und nicht mehr nur ein Problem der vermeintlich „Älteren“ ist, verdeutlicht auch das Durchschnittsalter der Infizierten. 

Lag das Durchschnittsalter in den ersten drei Monaten der Pandemie (März, April, Mai) noch bei 54,0 Jahren, ist es in den in den letzten drei Monaten (Juni, Juli, August) auf 34,4 Jahre gesunken. 

Bei den infizierten Reiserückkehrern, die in den letzten zwei Monaten registriert wurden, liegt das Durchschnittsalter sogar nur bei 27,8 Jahren. 

Im Zusammenhang mit dem Thema Reiserückkehrer hier noch einige weitere Zahlen und Fakten: 

Dem Gesundheitsamt sind bis heute rund 2.500Reiserückkehrer mit Wohnsitz im Kreis Unna bekannt. 78von ihnen hatten sich mit dem Coronavirus infiziert und insgesamt 285 Personen mussten sich in Quarantäne begeben (entweder weil sie selbst infiziert waren, ihre Mitreisenden als Kontaktpersonen der Kategorie I galten oder kein negatives Testergebnis vorgelegt werden konnte). 

Die meisten Reiserückkehrer-Infektionen sind derzeit auf Aufenthalte in der Türkei (teilweise Risikogebiet), Kosovo (Risikogebiet), Kroatien (teilweise Risikogebiet) und Bosnien (Risikogebiet) zurückzuführen.

Für erhebliche Mehrarbeit im Fachbereich Gesundheit und Verbraucherschutz hat nicht zuletzt das Ende der Sommerferien mit der Wiederaufnahme des Regelbetriebes an den Schulen und Kindergärten gesorgt: 

Verspätet eingetroffene Labormeldungen aus Bayern, vereinzelte Neuinfektionen bei Mitarbeitern an Schulen und Kitas sowie Schülern und Kita-Kindern sorgen dafür, dass die mobilen Teams des Gesundheitsamtes nach wie vor alle Hände voll zu tun haben mit Reihentestungen in Schulklassen und Kita-Gruppen.

Lückenlose Nachverfolgung der Kontakte

Die hohe Anzahl an laborbestätigten Neuinfektion im Kreis Unna ist aber auch auf einen anderen Umstand zurückzuführen. Das Gesundheitsamt des Kreises Unna arbeitet stringent nach den Vorgaben und Richtlinien des RKI! 

Dazu gehört, dass nach wie vor das Hauptaugenmerk bei der Bekämpfung der Corona-Pandemie in der lückenlosen Nachverfolgung der Kontakte aller infizierten Personen liegt. 

Verbunden mit der konsequenten Zweifach-Testung aller ermittelten engen Kontaktpersonen (sogenannteKategorie-I-Kontakte) sowie der ordnungsbehördlichen Verfügung und Überwachung der häuslichen Quarantäne für alle Infizierten und ihre Kategorie-I-Kontakte ist das sognannte „Containment“ auch in dieser Phase der Pandemie die zentrale Komponente unserer Strategie zur Eindämmung des Ausbruchsgeschehens. 

Dass die Testung der in vielen Fällen asymptomatischen Kontaktpersonen sinnvoll und notwendig ist, kann leicht anhand einer Zahl belegt werden: 65 Prozent aller Personen, die im Zeitraum von Mitte Juli bis Mitte August durch das Gesundheitsamt positiv auf SARS-CoV-2 getestet wurden, sind zuvor schon als Kontaktpersonen der Kategorie I eingestuft und damit bereits unter Quarantäne gestellt worden.

Immer wieder wird gefragt, wie viele Personen im Kreis Unna denn überhaupt bis jetzt getestet worden sind. Eine umfassende Antwort darauf gibt es nicht, denn neben dem Gesundheitsamt testen auch die Krankenhäuser und die niedergelassenen Ärzte – und über die negativen Testergebnisse dort wird das Gesundheitsamt im Regelfall nicht informiert.

Allein das Gesundheitsamt des Kreises Unna hat jedoch seit Anfang März rund 9.000 Testungen auf SARS-CoV-2 durchgeführt – in der Frühphase der Pandemie hauptsächlich bei symptomatischen Personen und später zunehmend bei asymptomatischen Kontaktpersonen von Infizierten, vor der Aufnahme in Pflege- und Reha-Einrichtungen sowie im Rahmen von „Reihentestungen“, beispielsweise bei Ausbrüchen in Pflegeeinrichtungen, Schulen und Kindergärten.

In diesem Zusammenhang sei angemerkt, dass die Zuständigkeitsfragen und Kostenübernahmeregelungen für die Testungen seit Mitte Mai weitestgehend durch die Rechtsverordnung des Bundesgesundheitsministeriums und später auch durch vertragliche Vereinbarungen zwischen dem Land NRW und den Kassenärztlichen Vereinigungen geklärt worden sind. 

Übernahme von Kosten weiter ungeklärt

Nach wie vor haben wir aber keine Antwort – weder von der Kassenärztlichen Vereinigung noch vom MAGS NRW – auf die Frage, wer die bei uns von Anfang März bis Mitte Mai entstandenen Kosten in Höhe von etwa 120.000 Euro (Berechnung: 2.000 Tests x 59 Euro) für die Testung symptomatischer Personen, für die eigentlich die niedergelassenen Ärzte zuständig gewesen wären, erstattet.

Wie sinnvoll es war, noch vor den Sommerferien in die Qualifizierung von rund 50 zusätzlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus der Gesamtverwaltung für die Kontaktnachverfolgung einzusteigen, hat sich in den vergangenen Wochen deutlich gezeigt. 

Die sukzessive erfolgten Lockerungen der Kontaktbeschränkungen haben dazu geführt, dass die Menschen wieder ein ganz anderes Freizeitverhalten an den Tag legen – mit der Folge, dass fast jeder Infizierte wieder deutlich mehr und engere Kontakte im Familien-, Freundes-, und Bekanntenkreis, auf Partys, bei Feiern, beim Sport sowie bei anderen Zusammenkünften als zu Zeiten des „Lockdowns“ hat. 

Die damit einhergehende Kontaktnachverfolgung kann deshalb auch nur mit Einsatz von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern über das Stammpersonal des Gesundheitsamtes hinaus gelingen.

Diese Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter fehlen natürlich an anderer Stelle in der Kreisverwaltung und beeinträchtigen so die Arbeit in diesen Organisationseinheiten.

Trotz aller Unsicherheiten und Unwägbarkeiten, die die Corona-Pandemie vom ersten Tag an mit sich gebracht hat, gilt es jetzt, dass der Kreis Unna sich für die kommenden Monate wappnet und aufstellt.

Unsere lokalen Testkapazitäten, die wir in erster Linie für die Testung von Kontaktpersonen und für die Testung im Rahmen von Aufnahmen in Pflege- und Reha-Einrichtungen vorhalten, müssen weiter professionalisiert und ausbaufähig gemacht werden.

Aus diesem Grund errichten wir neue und barrierefreieTestzentren in der Kreissporthalle I in Unna sowie in Containern am Kreishaus in Lünen, die in Kürze die „Provisorien“ in den Liegenschaften des Gesundheitsamtes ablösen sollen.

Führerscheinservice und Zulassungsgeschäft besonders betroffen

Die Arbeit des Sachgebietes Bevölkerungsschutz war in den Sommermonaten ganz überwiegend von logistischen Herausforderungen geprägt.

Bedingt durch die vom Land NRW ausgelieferten Schutzmaterialien wie Atemschutzmasken, Schutzbrillen und –visiere, Einmalanzüge, Schutzkittel, Handschuhe und Desinfektionsmittel mussten zusätzliche Lagerkapazitäten (insgesamt jetzt 2.800 qm) erschlossen werden und gleichzeitig eine permanente Ausgabe an die ambulanten und stationären Pflegeeinrichtungen, Krankenhäuser und andere Einrichtungen (z.B. an die Schulen zu Beginn des neuen Schuljahres) gewährleistet werden.

Besonders betroffen von der Schließung der Kreishäuser waren die sogenannten „Massengeschäfte“ im Bereich des Führerscheinservice und KFZ-Zulassung. 

Nach der schrittweisen Wiedereröffnung der Kreishäuser ab Anfang Mai konnte – nach wie vor nur unter strikter Einhaltung von Vorschriften und Regelungen zum Infektionsschutz und als reines Termingeschäft – die Anzahl der zu bearbeitenden Geschäftsvorgänge deutlich erhöht werden. 

So konnten in der Zeit vor Corona pro Monat durchschnittlich 4.500 Führerscheinangelegenheiten bearbeitet werden; während des „Lockdowns“ sank diese Zahl zwangsläufig auf etwa 1.110/Monat. 

4.000 Geschäftsvorgänge im Monat – Situation fast wieder normal

Mit der Zahl von aktuell knapp 4.000 Geschäftsvorgängen pro Monat hat sich die Situation – trotz aller notwendigen Schutzmaßnahmen, aber insbesondere dank des Engagements der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – nahezu „normalisiert“.

Es kommt zwar nach wie vor zu einzelnen Problemen bei der Terminbuchung, diese sind jedoch meist auf Bedienungsfehler, Ausfall der Technik oder mangelnde Flexibilität auf Kundenseite zurückzuführen. 

Bei den Zulassungsangelegenheiten können mit der derzeitigen Terminsituation am Standort Unna 553 Online-Termine/Woche und am Standort Lünen 204 Online-Termine/Woche gebucht werden. Hinzu kommen noch bis zu 75 Termine/Woche für systemrelevante Berufsgruppen.

Die tägliche Zusammenarbeit der Kreisverwaltung und der Kreispolizeibehörde Unna mit den örtlichen Ordnungsbehörden der kreisangehörigen Städte und Gemeinden bei der Umsetzung der Corona-Schutz-Regelungen ist nach wie vor sehr gut. Gleiches kann man auch von der Zusammenarbeit mit unserer Busgesellschaft VKU sagen.

Unterstützung der Landesregierung mehr als erwünscht

Von Seiten der Landesregierung wünsche ich mir mehr konkrete Unterstützung bei der Bewältigung der Corona-Pandemie. Beispielsweise hätte es sehr viel früher (und nicht erst seit gestern Abend) ein landesweites Präventions- und Eskalationskonzept nach hessischem Vorbild geben können. 

Weshalb mussten erst die Oberbürgermeister Baranowski aus Gelsenkirchen und Kufen aus Essen im Auftrage des Regionalverbandes Ruhr den Ministerpräsidenten anschreiben und ein solches Konzept einfordern?

Weiterhin sind wir meines Erachtens immer noch weit entfernt von einer einheitlichen, landesweiten und vor allem plausbiblen Teststrategie zur Eindämmung der weiteren Ausbreitung des Corona-Virus.

Außerdem brauchen wir regelmäßige, flächendeckende und unbürokratische Corona-Tests von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Pflegeeinrichtungen und –diensten.

Das wird allerdings erst möglich sein, wenn zuverlässige Schnelltests zugelassen sind und die Tests vom Pflegepersonal selber vorgenommen werden können. Ich unterstütze daher grundsätzlich die Petition der Arbeitsgemeinschaft stationäre Pflege im Kreis Unna, die sich mit dieser Forderung an die Landesregierung gewandt haben.

Gesundheitsämter als dritte Säule des Gesundheitswesens

Aufgrund der Erfahrungen, die ich bei der Auseinandersetzung mit der Corona-Pandemie in den vergangenen Monaten gemachte habe, wünsche ich mir für die Zukunft, die ich nicht mehr als verantwortlicher Amtsträger erleben werde, dass der öffentliche Gesundheitsdienst, also die Gesundheitsämter der Kreise und Städte sowie die entsprechenden Dienststellen der Landes- und Bundesverwaltung in Deutschland, personell, materiell und durch zusätzliche gesetzliche Kompetenzen in die Lage versetzt werden, um als vollwertige 3. Säule unseres Gesundheitswesens mit den anderen Säulen, nämlich mit der ambulanten und mit der stationären Versorgung, auf Augenhöhe kooperieren zu können.

Der öffentliche Gesundheitsdienst ist das wichtigste Instrument unseres Staates zur Bekämpfung von Pandemien. Machen wir also dieses Instrument möglichst stark, dass es erfolgreich die Menschen in unserem Land schützen kann.

Abschließend möchte ich die Gelegenheit dieser Kreistagssitzung nutzen, um meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der Kreisverwaltung und in der Kreispolizeibehörde öffentlich meinen Dank und meine Anerkennung für das unermüdliche und erfolgreiche Engagement im Kampf gegen die Pandemie in den vergangenen Monaten auszusprechen.

Stellvertretend für alle nenne ich namentlich den Leiter unseres Krisenstabes, Uwe Hasche, und den Leiter des Fachbereichs 53, Josef Merfels.

Alle haben Großes geleistet!

PM: Kreis Unna

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