Der Markt hat Geburtstag – „Stellschraube“ der Stadtentwicklung

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Foto: © Thomas Schmithausen

Von Alfred Hintz

Schwerte. Der Schwerter Markt hat Geburtstag. Er war und ist eine „Stellschraube“ der Stadtentwicklung und, so die Soziologen, ein „Ort kommunikativen Handelns“. 

Wenn die Schwerter mittwochs und samstags mit dem Auto die Innenstadt anfahren, um anschließend über den Wochenmarkt zu bummeln, weiß kaum jemand, dass es diesen Treffpunkt im  Herzen der Stadt schon seit jetzt genau 620 stolzen Jahre gibt. Gehandelt, gekauft und verkauft wurde dort lange vor Verleihung der offiziellen Marktrechte 1425. 

Schwerte wurde 1397 mit erweiterten Stadtrechten ausgestattet. Damit erlaubte Graf Dietrich I. von der Mark den Schwerter Bürgern zu besonderen Festtagen, in unmittelbarem Anschluss an den Festgottesdienst  zwei Jahrmärkte abzuhalten. Und zwar zum Fest des Kirchpatrons St. Viktor und einer Kirchweih am fünften Sonntag nach Ostern. Zu diesen Jahrmarkten kamen von weither Händler, um beispielsweise Gewürze, Heringe, seltene Stoffe, Krüge, Schüsseln, Schmuck und Pelze zu verkaufen.

Im Jahre 1425 wurden dem Schwerter Kirchspiel von damaligen Feudalherren Graf Adolf von Kleve-Mark offiziell Marktrechte verbrieft. Dadurch wurde Schwerte das Recht zugestanden, neben den beiden genannten Jahrmärkten donnerstags zusätzlich einen Wochenmarkt abzuhalten. Die Bauern, die zum Wochenmarkt kamen, um dort Vieh, Getreide und Gemüse an den Mann zu bringen, hatten dafür eine Marktgebühr zu  entrichten. Seit 1427 wurden alle von außerhalb in die Stadt eingeführten Waren mit einer Verbrauchssteuer belegt. Gleiches galt für Handwerker, die Tuche und einfache Töpferwaren anboten. Für die Handwerker, die bislang außerhalb der Stadtmauern gelebt hatten, war es u. U. deshalb aus steuerlichen Gründen lohnend, den Wohnsitz innerhalb der Stadtmauern zu nehmen, die Einwohnerzahl stieg.

Im 15. und 16. Jahrhundert war Schwerte eine „Hauptstadt“ der Grafschaft Mark, eine reiche Stadt. Mit den 1397 bestätigten Privilegien trat Schwerte endgültig aus seinem bisherigen Schattendasein heraus. Gegenüber den älteren Städte der Grafschaft Mark, Hamm, Kamen, Iserlohn, Unna und Lünen, wies es zwar eine kürzere urbane Tradition auf, schloss jedoch bald auf Augenhöhe mit ihnen auf und ereichte 1414 den gleichen Rang. Schwerte und nicht etwa Bochum oder Lüdenscheid erhielt bis zum Ende des Alten Reiches den Sitz auf der Städtebank bei den landesständischen Verhandlungen und war somit eine der sechs landtagsfähigen Städte der Grafschaft.

Diese Vorrangstellung hätte die Stadt nicht ohne ihre wirtschaftliche Stärke erreicht. Die beiden Jahrhunderte nach 1397 waren die „gute alte Zeit“, eine Zeit wirtschaftlicher und kultureller Blüte. 

Aus dieser Blütezeit stammen die beiden städtischen Wahrzeichen, das Alte Rathaus und die St. Viktor-Kirche. Zur Kirche schreibt der aus Schwerte stammende Historiker Wilfried Reininghaus:  „In dem Maße, in dem die Stadt um die Kirche herum wuchs, rückte St. Viktor immer mehr in die Rolle des Schutzpatrons des aufblühenden Gemeinwesens. Einige indirekte Zeugnisse der Viktor-Verehrung im 15. und 16. Jahrhundert können wir noch erfassen. So nannten etliche Eltern ihre Söhne nach dem Heiligen der Schwerter Kirche.“

Und weiter heißt es: „Nicht nur der Pfarrsprengel Schwerte trug zum stufenweisen Ausbau von St. Viktor zu einer großen und weithin sichtbaren Kirche bei. Die Eingesessenen der Dörfer Rheinen, Geisecke und Lichtendorf waren zu Leistungen für ihre Kirchspielkreise bis in das 19. Jahrhundert hinein verpflichtet. Der Bau der Kirche forderte Opfer und Leistungen der Gläubigen, die unter der Last ächzten.“

Nach der „guten alten Zeit“ musste die Stadt im 17. und 18. Jahrhundert ein langes, wirtschaftliches und kulturelles Tief hinnehmen. Erst Anfang 18oo ging es mit der Genehmigung eines Korn- und Viktualienmarkts unter dem Alten Rathaus wirtschaftlich langsam wieder aufwärts. Wegen seiner günstigen Lage in der Nähe der Industriestandorte blieb Schwerte bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts führender Getreidemarkt der Region.

Die Berichte über die wirtschaftliche Lage im Ruhrtal fielen bis 1867 trotzdem ambivalent aus. Mit dem Bau der Eisenbahn zwischen 1866 und 1871 begann die „neue Zeit“. Die Eisenbahn war der Motor der Industrialisierung. Innerhalb weniger Jahre ließ Schwerte sein Kleinstadtleben hinter sich und entwickelte sich zur Industriestadt. 

Im 20. Jahrhundert, Anfang der 70er Jahre, sorgte die Umsetzung des Slogans „Einkaufen und Parken auf der grünen Wiese“ für das langsame Sterben der Familienbetriebe und den Tod der Tante Emma-Läden. Die Innenstädte verödeten. Der Schwerter Rat versuchte mit der Einrichtung der Fußgängerzone, deren Bau übrigens auf beträchtliche Skepsis beim Einzelhandel stieß, gegenzusteuern. Die lokale öffentliche Diskussion der folgenden Jahre wurde beherrscht von der Schlagzeile „Das Herz der City soll wieder schlagen“. In Schwerte war Innenstadtsanierung angesagt.

„Das bedeutendste Neubauobjekt im Sanierungsgebiet“, notierte der frühere Stadtdirektor Ernst D. Schmerbeck, „war das gemischt genutzte, später als City-Centrum bezeichnete  Gebäude und die Tiefgarage unter dem Marktplatz.“ Für einige Jahre erfüllten sich die Hoffnungen der Planer auf ein kräftig pulsierendes Herz der City. Mit co op hatte man einen sog. „Ankermieter“ gefunden, der mit seinem Angebot die Kundschaft in die Innenstadt zog und die umliegenden Geschäfte einschließlich Wochenmarkt belebte. Doch dann kam mit der unerwarteten und überraschenden co op-Pleite der fast tödliche wirtschaftliche Herzinfarkt, der die geschäftlichen Impulse im Umfeld dämpfte. 

Dass der Marktplatz im Schatten von St. Viktor nach über 600 Jahren im Auf- und Ab der Zeiten nach wie vor ein „Ort des kommunikativen Handelns“ ist, verdankt er neben der Außengastronomie vor allen Dingen dem Wochenmarkt. Wie sieht seine Zukunft aus? Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe in Münster hat vor einiger Zeit eine strukturelle Untersuchung zu den Wochenmärkten in den Mittelstädten seines Gebietes vorgelegt. Generelles, positives Fazit der LWL-Untersuchung: „Die Wochenmärkte in Westfalen präsentieren sich als lebendige, traditionsreiche und gern besuchte Einkaufsstandorte.“ 

Jetzt ist die Belebung der Innenstadt, die sog. „Revitalisierung“ angesagt.  In der Frage nach dem Wie ist der Wochenmarkt als Stellschraube der Revitalisierung entdeckt worden. Die Soziologen des Landschaftsverbandes kommen zu dem Ergebnis, die Stärkung des Markthandels in innerstädtischen Lagen gehöre als Handlungsfunktion zur Rückbesinnung auf die Kernfunktion der Innenstadt dazu. Ein funktionierender Markthandel führe im Allgemeinen zur Stärkung der Zentrumsfunktion. 

Wichtig sei auch das Zusammenspiel von Wochenmärkten und stationärem Einzelhandel. Denn die Wochenmärkte dienten diesem als Kundenmagnet und Frequenzbringer, sorgten für einen Marketingeffekt, ergänzten die angebotenen Sortimente und trügen dazu bei, die Kaufkraft in der Innenstadt zu binden.

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