Gedenken am 9. November

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Foto: Fritz-Günter Held

Die Schwerter Friedensinitiative, Pax Christi, Oekumene-Arbeit und Schwerter Bündnis Gegen Rechts laden am 9. NOVEMBER IN SCHWERTE um 18.15 Uhr Gedenkgang ab Jüdischem Friedhof am Nordwall, Gestaltung Theatergruppe „gegenwind“ unter Leitung der Theaterpädagogin Gelinde Heinrich um 19 Uhr Mahnfeier an der Ehemaligen Schwerter Synagoge, Gr. Marktstraße

Eröffnung mit einer Grußansprache von Bürgermeister Dimitrios Axourgos

Gedenkansprache Fritz-Günter Held, Schwerter Friedensinitiative

Musikalische Gestaltung Wakako Yamanaga mit freundlicher Unterstützung des Schwerter Kulturbüros!

Gedenkgang und Mahnfeier finden im Außenbereich statt.

Corona-Hygiene-Maßnahmen und Abstandsregeln sind zu beachten!

In diesem Jahr 2021 wird zurückgeblickt auf 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland. 321 erließ Kaiser Konstantin das Edikt, mit dem Mitglieder der jüdischen Gemeinde in Köln das Recht erhielten, Ämter im Kölner Stadtrat zu bekleiden. Der älteste Kirchbau in Deutschland in Trier und die Anerkennung der Bürgerrechte für die jüdische Gemeinde in Köln fallen in dieselbe Epoche.

Ganz selbstverständlich brachten jüdische Handelsleute und Gebildete aus Wissenschaft, Technik und Kunst ihr Wissen ein in das Werden der Städte. So wie später im manchmal finsteren europäischen Mittelalter dann ganz selbstverständlich an der Seite der jüdischen Gebildeten die muslimischen Ärzte und Philosophen, Mathematiker und Physiker den Weg nach Frankreich, Italien und Deutschland fanden. Gerade in jüdischen Einflussbereichen, Familien und Gemeinden gab es zu mancher Zeit eine erstaunliche Vielfalt und Toleranz an buntem Leben und Zusammenspiel der Religionen.

Anknüpfend an diese jüdischen und islamischen Wurzeln der abendländischenKultur haben Denker und Dichter wie Moses Mendelsohn und Gotthold Ephraim Lessing in Preußen den Weg geebnet für die rechtliche Anerkennung der Jüdischen Gemeinden und ihrer Arbeit auch in Westfalen. Jüdische Gemeinden wurden zu kulturellen Zentren, konnten offiziell Gebetsräume und Schulen einrichten.

Auch in Schwerte fand das jüdische Leben Anerkennung. Die jüdische Gemeinde machte sich verdient um die Bildung von Schwerter Kindern und Jugendlichen. Friedrich Kayser konnte einvernehmlich in der Jüdischen Schule seine Bemühungen um benachteiligte Kinder fortsetzen. Jüdische Kaufmannsfamilien linderten die Not in der Stadt und beschenkten Kinder zu ihrer Kommunion oder Konfirmation. Für viele Bürgerinnen und Bürger hatte die Synagogengemeinde ein freundliches Gesicht und helfende Hände.

Es war ein schöner Ort im Herzen von Schwerte. Der stadtprägende Architekt Carl Hermann Josef Schmitz hatte erst 1928 die Synagoge in der Großen Marktstraße neu gestaltet. Mit Profil, zur Stadt hin geöffnet und einladend. 

1933 war durch die Finanzierung von Industrie und Banken die MachtergreifungHitlers möglich geworden. Die Allianz-Versicherung, Krupp, IG Farben, AEG, Siemens und weitere Banken und Unternehmen haben viel Geld nicht nur für Werbeplakate und Zeitungen an die Nazis gegeben. Sie haben bezahlt auch für Uniformen, Waffen und Fahrzeuge. So konnten die Nazis Sozialdemokraten und Kommunisten zusammenschlagen und Gewerkschafter in den Betrieben mit brutaler Gewalt zum Schweigen bringen. Sie konnten Armutsproteste und Demonstrationen gegen Rechts von den Straßen prügeln. Kolonnen im Gleichschritt, Fackeln und Fahnen sollten für nationale Größe und Kampfbereitschaft werben.

Mit einem betrügerischen Zählverfahren und Unterstützung des Zentrums peitschte Göring in der von Nazis besetzten Kroll-Oper das Ermächtigungsgesetz durch. Zunehmend wurde Hass gegen sogenannte Nichtarier und Nazi-kritische Kräfte gesät. Mit brutaler Gewalt behaupteten SA-Schläger das Feld, auch in Schwerte.

Am 29. März 1933 beschmierten Nazis die Schwerter Synagoge mit Teer, besudelten jüdische Geschäfte mit Hassparolen, überwachten Kundinnen und Kunden. Die Kaufleute und ihre Kundschaft wurden unter Druck gesetzt und drangsaliert. Kauft nicht bei Juden! hieß es. Und: Juda verrecke! war der alltägliche Gruß. Schwerter Gesichter standen sich gegenüber. Die SA-Männer breitbeinig aufgebaut neben den Türen. Doch viele Frauen und Männer, die sich nicht einschüchtern ließen, waren mutig genug, an den Nazis vorbeizugehen und einzukaufen. Mit Abscheu sprachen Schwerter Bürgerinnen und Bürger vom Beschmieren der neuen Synagoge.

Die Schwerter Zeitung schrieb dazu: „Wenn nun einige bürgerliche Gemüter meinen, man hätte die Synagoge nicht besonders kennzeichnen dürfen, so scheinen diese Herrschaften, die nichts … für Deutschlands Befreiung von den Sklavenketten des jüdischen Marxismus getan haben und der kommunistischen Gefahr nicht entgegengetreten sind, noch nicht begriffen zu haben, dass wir gegenwärtig eine nationale Revolution leben.“ 

Die deutschen Herrenmenschen sollten ein Gefühl für ihre Überlegenheit erhalten. Aber nicht nur mit Abschreckung und brutaler Gewalt suchten die Nazis den Umgang von sogenannten minderwertigen jüdischen, verzigeunerten, slawischen, kommunistischen und bolschewistischen Untermenschen mit arischen, rein deutschblütigen Bürgerinnen und Bürgern zu verhindern. 

Es wurden Recht und Gesetz in Deutschland ohne Rücksicht gebrochen. Noch im April 1933 erließ die Nazi-Regierung ein Sondergesetz, ein Unrechtsgesetz als Deckmantel für die Entfernung von sogenannten „jüdischen“ und rassisch minderwertigen Menschen und natürlich auch von politisch Andersdenkendenaus dem öffentlichen Leben. Ärzteschaft und Rechtsbeistände wurden auf völkische Gesinnung hin sortiert. Aus Schule und Hochschule wurden missliebige Personen entfernt. 

Auch Theater, Film und Musik wurden rasserein gemacht, Ein Schwerter Beispiel: Alfred Alexander, erfolgreicher Kino-Pianist und SPD-Mitglied. Als politischer Mensch verfolgt, wurde er als Musiker mit Berufsverbot belegt.

Mit den Nürnberger Gesetzen 1935 wurde die Verfolgung noch weiter verschärft. Für das tägliche Leben und Zusammenleben waren Ariernachweise nötig. Allen aktiven und auffälligen sogenannten „Nichtariern“ drohte nicht nur ein Berufsverbot, sondern Haft und Konzentrationslager. Der Schwerter Journalist und Historiker Alfred Hinz hat viele Schicksale aufgehellt.

Hochgebildete Juristen wie Dr. Hans Josef Maria Globke arbeiteten die Rassengesetzgebung aus. Sie sorgten für Kenntlichmachung und behördlicher Erfassung. Trotz der Mitautorenschaft Hans Globkes am höchst präzisen Kommentar zu den Rassengesetzen gehörte er später zu den engsten Vertrauten seines früheren Zentrums-Kollegen Konrad Adenauer.

Im Juli 1933 veröffentlichte die lokale Presse den Nazi-Aufruf: „Kein Deutscher betritt mehr ein jüdisches Geschäft.“ Dies sollte auch für den Wochenmarkt gelten. Den Schwerter Bürgerinnen und Bürgern, die sich nicht an diese Anordnung hielten, drohte die Veröffentlichung ihrer Namen in der Tageszeitung.

Aufträge der Stadt sollten nur noch an nazitreue Unternehmen vergebenwerden. Jüdische Geschäfte, Grundstücke, Häuser wurden unter dem massiven rassenpolitischen Druck in Schwerte seit 1933/34 verkauft, die Nazis sprachen von Arisierung des Eigentums. Auch die Jüdische Schule am Schwerter Nordwall sollte eigentlich schon 1937 in das Eigentum der Stadt übergehen.

Am 9. November 1938 wurde die Synagoge in der Großen Marktstraße von Nazis gestürmt, die Thora-Rollen in den Straßenschmutz geworfen und die Inneneinrichtung durch Feuer zerstört. Das Gotteshaus wurde der jüdischen Gemeinde geraubt und bald darauf die jüdische Gemeinde vernichtet.

1942 wurden die noch im Ruhrtal verbliebenen jüdischen Menschen zum Schlachthof in der Liethstraße geprügelt. Sie mussten dort in Barackennächtigen. Dann trieben die Nazis sie zum Schwerter Bahnhof. Sie wurden in Viehwaggons weitertransportiert im Rahmen der Endlösung in Vernichtungslager wie Auschwitz, Sobibor und Theresienstadt …

Wenn alte und neue Nazis das alles für einen „Vogelschiss“ der Geschichte halten, widersprechen Schwerter Friedensinitiative, Pax Christi, Oekumene-Arbeit und das Schwerter Bündnis Gegen Rechts; denn Wahrheit und Zukunft gehen immer Hand in Hand.

Schwerter Opfer von Rassenwahn und Verfolgung können namentlich genannt werden. Die Stolpersteine in unserer Stadt Schwerte und der Namensfries an der Gedenkstätte Ehemalige Synagoge nennen die Menschen, die unter Arroganz und rücksichtsloser Brutalität des Herrenmenschendenkens der Nazis mitten im aufgeklärten Europa gelitten haben.

PM: Fritz-Günter Held

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